"Es ist nicht perfekt, aber wir lieben es!"

Nach etwas mehr als zwei Jahren bekommt man doch noch zahlreiche Fragen gestellt, die ich in diesem Eintrag gerne beantworten moechte. Ich versuche das Ganze anhand von konkreten Beispielen umzusetzen, da ich finde man kann gewisse Fragen nicht einfach mit einem oberflaechlichen “Ja” oder “Nein” beantworten.

Was vermissen wir aus bzw. an Deutschland?

Ich gehe jetzt nicht spezifisch auf jede Person ein an die wir sehr oft denken, aber diese Menschen gibt es und die Angesprochenen wissen das auch. Wir gehoeren eher nicht zu den Auswanderern die sehr viel Geld in der International Food Section im Supermarkt lassen, dennoch gibt es den ein oder anderen Artikel den wir gerne aus dieser Kategorie kaufen. Darunter faellt unter anderem Rotkraut, Loewensenf und ab und an mal ein Paeckchen Dallmayr Prodomo Kaffee. Sicherlich gibt es auch Alternativprodukte die man verwenden koennte, vorallem beim Senf oder beim Kaffee, aber es geht hier mehr um den Wert der Erinnerung. Wenn ich ab und an eine Tasse Dallmayr trinke, fuehle ich mich sofort zugequalmte Kueche von meiner Oma zurueckversetzt, wo einem der schwere Rauch von Stuywesant Zigaretten die Kehle zuschnuerte. Das klingt jetzt sicherlich nicht wie eine angenehme Erinnerung, aber wer meine Oma Luise gekannt hat, weiss dass es ein besonderer Moment fuer mich ist. Aehnlich ist es mit Bier, das kaufe ich zwar nicht in Kanada aber lass mir gerne von Besuch das eine oder andere regionale mitbringen. Mein Vater hat mir bei seinem Besuch einige Flaschen und Dosen hiergelassen, die einen aehnlichen Effekt hervorrufen. Jeder der Kathi kennt, weiss dass sie einen besonderen Bezug zum Mittelalter hat. Nun hatte Kanada ja keine historischen Staetten die an diese Epoche erinnern und daher auch keine Schloesser und Burgen, die sie so gerne besichtigt hat. Wir haben hier zwar vieles was an die Pionierzeit erinnert und die ersten Kontakte zwischen Siedlern und Ureinwohnern, aber eben nichts vor dieser Zeit. Bei mir ist es ansonsten noch der Rhein, durch die Erinnerungen die ich dort mit Spike hatte, der Pfaelzerwald, durch die Erinnerungen mit meinen Grosseltern und Schlachtfeste mit regionalen Spezialitaeten.
Geschenke aus der Heimat von Mama

Was vermissen wir nicht aus bzw. an Deutschland?

In diese Kategorie faellt so einiges. Ich moechte nicht ueber meine Heimat schimpfen, aber wenn man auswandert, dann hoechstwahrscheinlich weil man die Schnauze von der aktuellen Situation voll hat und meistens nicht nur ein bisschen. So gibt es auch in unserer Situation einige Dinge die einem gehoerig auf den Keks gegangen sind und zumindest mich naeher an einen Herzinfakt getrieben haben, sei es durch einen Ruhepuls von 180 oder exzessives Frustfressen bleibt jetzt mal dahingestellt. Ich vermisse definitiv nicht die schlechtgelaunten Menschen und frustrierten Gesichter, wenn ich draussen unterwegs bin. Natuerlich klingt das jetzt extrem, aber wenn ich am Flughafen Besuch abgeholt habe und schon anhand der frustrierten Gesichter der meisten Passagiere (unseren bisherigen Besuch komplett ausgeklammert) deuten konnte, dass die letzte gelandete Maschine aus Deutschland kommt, dann sagt das schon Einiges ueber die Mentalitaet und Geisteshaltung aus. Wenn man dann draussen unterwegs ist und staendig mit griesgraemigen Gesichtern konfrontiert wird, nimmt man das vermutlich irgendwann mit an. Wer mich kennt weiss, dass ich morgens eigentlich immer gut gelaunt bin, daher hat mich das massiv gestoert. Klar scheint mir nicht die Sonne aus dem Arsch wenn ich zur Arbeit gehe, aber ich schau zumindest nicht den ganzen Tag aus der Waesche als ob ich zu Hause in die Kreissaege renne. Selbstverstaendlich sind nicht alle Menschen ueber dem Atlantik so, aber die Schnittmenge ist doch schon sehr beachtlich und wer das nicht glaubt, dem rate ich einfach mal am Flughafen sich an verschiedene Gates zu stellen und die Reisenden zu beobachten, ihr werdet ueberrascht sein.
Winter in Alberta, Blick von unserer Veranda aus
Auch der naechste Punkt bezieht sich auf subjektive Eigenschaften: Rotzgoerige Jugendliche bei denen die Eltern scheinbar auf ganzer Linie versagt haben. 
Ich entschuldige mich schonmal fuer die Ausdrucksweise die in diesem Absatz etwas haerter ausfaellt. Jetzt kann man auf die Barrikaden gehen und schreien “krieg du erstmal Kinder”, das nehm ich gerne hin, aber ich war auch mal ein Kind und hab mich nicht zum Wasserpfuetzenrotzenden Arschloch entwickelt, dass nicht weiss wie man sich erwachsenen Leuten gegenueber zu verhalten hat. In Kanada ist es selbstverstaendlich, dass Kinder und Jugendliche einem die Tuer aufhalten, einem einen guten Tag wuenschen und nicht ihr Territorium mit Koerperschleim markieren. Auch werden hier nicht aus Langeweile Menschen in der U-Bahn totgetreten oder in Alcopop-Trupps groehlend durch die Strassen gezogen. Ich war sicherlich kein Paradebeispiel fuer den Traum aller Schwiegermuetter, aber meine Eltern und Grosseltern haben eine ziemlich guten Job gemacht wenn ich auf mein Verhalten als Jugendlicher zurueckblicke. Ich weiss nicht woran das liegt, aber scheinbar liegt heutzutage eher der Fokus darauf, dass die Kinder besser Geige spielen koennen wie ein irischer Penner und bereits im Kindealter mindestens eine exotische Fremdsprache beherrschen, anstatt ihnen beizubringen guten Tag zu sagen wenn man einen Raum betritt. Vielleicht bin ich auch einfach nur in den 80ern haengengeblieben und komme deshalb nicht damit klar. Ich hatte es neulich mit einem sehr guten Freund ueber dieses Thema, der Lehrer ist und vermutlich mehr Ahnung von der ganzen Materie hat als ich und der meinte es kann sein, dass es sich um eine Art Langeweile handelt und darum, dass man der Gesellschaft zeigen will wie scheisse man sie doch findet. Woran es letztendlich liegt ist mir relativ egal, ich weiss nur, dass ich die Generation "Berlin Tag und Nacht" zum groessten Teil asozial finde und will eigentlich garnicht dran denken wie sich deren Sproesslinge entwickeln...ich vermute stark, es ist noch Luft nach unten.

Erste Heimschlachtung von Farmhuehnern

Was gefaellt uns wesentlich besser in Kanada?

Weniger Vorurteile. Ich bin jetzt optisch nicht gerade jemand den man einem Buero zuordnen wuerde, wenn man mich mit T-Shirt sieht. In Deutschland habe ich mir immer sehr viel Muehe gegeben professionell auszusehen und Tattoos moeglichst zu verdecken wenn ich auf der Arbeit war. (bis auf die letzen paar Wochen bevor wir ausgewandert sind, da war es mir ehrlichgesagt scheiss egal) Hier interessiert das niemanden. Ich trage Polohemden oder hochgekrempelte Flanellhemden und es ist absolut kein Problem. Das letzte Mal als ich ein schniekes Hemd anhatte war anfang des Jahres als ich geschaeftlich in Chicago war und da bin ich mir etwas overdressed vorgekommen. In Kanada zaehlt beruflich nur das Wesentliche: Was du kannst. Es ist wurscht wie man aussieht oder was man auf dem Papier ist. Wenn ich als Kleiderstaender im italienischen Anzug auf die Arbeit komme und mein Diplom im Korinthenkacken in der Tasche habe ziehe ich troztdem den Kuerzeren wenn es zum Vergleich mit einem erfahrenen Arbeiter kommt, der zwar keinen Uniabschluss hat aber die entsprechenden Voraussetzungen fuer die Position mitbringt.

Weihnachten ist der Hammer hier. In Deutschland war ich eher der menschgewordene Grinch zu Weihnachten und war froh wenn die Feiertage rum waren, aber hier hat sich irgendwas veraendert. Ich weiss nicht woran es liegt, aber sobald Remembrance Day vorbei ist, wird der Radio auf die Christmas-Station umgestellt, die bunten Lichter aufgehaengt und ich wuerde mir am liebsten ein Elfenkostuem anziehen. Vielleicht liegt es am Schnee oder an der Temperatur, ich kann es nicht sagen.
Eins meiner Lieblingsthemen: Essen. Dadurch dass Kanada ein Einwanderungsland ist mit allen erdenklichen Kulturen gibt es hier auch eine entsprechende Auswahl an Restaurants und verfuegbaren Rohstoffen zum Kochen.

Praeriesturm Anfang Januar. Schneewehen in einer Hoehe von mehr als 3 Fuss (1 Meter) in ca. 45 min sind hier moeglich durch unseren Pulverschnee (Champaign Powder)

Mehr Selbstbestimmung und weniger Einschraenkungen. Damit meine ich jetzt nicht, dass man sich neuerdings aussuchen kann welches Klo man benutzt sondern, dass es weniger Verbote gibt und mehr durch Richtlinien gesteuert wird. Konkrete Beispiele sind:
Altersbeschraenkungen fuer Unterhaltungsmedien und deren Zensur
Die Moeglichkeit der Privatschlachtung von Farmtieren
Jagd- und Fischereibestimmungen
Waffenerwerb- und besitzbestimmungen
Baubestimmungen
Nutzung von oeffentlichem Land (speziell wildes Campen, Fischen und Jagen)
Ein ganz grosses Plus ist die geringe Bevoelkerungsdichte. Habe ich weiter oben noch erwaehnt, dass mir der Pfaelzerwald fehlt, muss ich ergaenzen, dass ich damit nicht die ueberlaufenen Wanderwege meine, sondern eher die Umgebung an sich, mit den Huetten und kleinen Sreinbrunnen. Ich muss oft and die Wanderungen mit meinen Grosseltern denken und an alles was mir mein Opa so beigebracht hat in Bezug auf die Natur und den schonenden Umgang mit der Umgebung, auch daran wie er mich als noergelndes Kind durch den halben Wald getragen hat. Das alles hat einen sentimentalen Wert fuer mich und ich erinnere mich gern an diese Zeit zurueck. In Kanada gibt es grosse Flaechen Crownland (hatte ich in einem frueheren Beitrag schonmal erwaehnt), in denen man absolut ungestoert machen kann was was man will, wenn man sich an einige Regeln haelt, in Bezug auf Feuerschutz, Gelaendefahrzeugbeschraenkungen und "recreational shooting" (Uebungsschiessen). Wenn ich mal ein paar Stunden fuer mich brauche, schnappe ich mir schonmal ein Gewehr und meinen Rucksack und geh fuer ein paar Stunden in den Wald und kann dort ein bisschen fuer mich sein ohne eine Menschenseele die mir auf den Keks geht (damit meine ich jetzt nicht Kathi, die ist auch oft dabei).
Blick in die Kuehltruehe. 65 Pfund (30kg) hart erarbeitetes Fleisch vom Weisswedelhirsch aus biologischer "Haltung"

Was gefaellt uns nicht in Kanada?

Auch die Wahlheimat hat ihre Contras, wer so etwas verneint hat sie vermutlich nur noch nicht entdeckt oder macht sich vor, dass alles ausnahmslos wunderbar ist. Was mir nicht gefaellt ist, wie viele Kanadier mit ihrer Umwelt umgehen. Ich spreche hier nicht von wirtschaftspolitischen Themen wie die Oelsande im Norden, zu denen ich durch meinen Job in gewissem Mass auch beitrage, auch wenn ich mich stets fuer Nachhaltigkeit auf der Arbeit einsetze. Ich beziehe diesen Punkt mitunter auf den Umgang mit einem hohen Gut in Privathaushalten: Trinkwasser. Die Muellentsorgung und Frischwasserqualitaet in einigen Gebieten fuehrt teils zu sehr abstrakten Gedankengaengen ueber die ich nur den Kopf schuetteln kann. Da werden Mittwochs Batterien in den Hausmuell geschmissen der dann ins Landfill geht (wird vergraben) und Donnerstags regt man sich darueber auf, dass man die Fische aus dem oertlichen See nicht essen sollte, weil sie zu viele Schadstoff aufnehmen. In einem anderen See wird die Scheisse von den umliegenden Haeusern direkt ins Wasser geleitet, was das gleiche Resultat hat. Ich weiss nicht warum viele Menschen hier noch nicht die notwendige Sensibilitaet fuer entsprechende Ressourcenschonung entwickelt haben, aber bin mir sicher, dass es mitunter damit zusammenhaengt, dass die Wertschaetzung fuer die Natur etwas fehlt, aufgrund der unglaublichen Groesse dieses Landes. Ein Kumpel und ehemaliger Nachbar hat mir auch schon von seinen schnellen Oelwechseln am Strassenrand erzaehlt (ratet mal wo das Altoel hinlaeuft). Ich bin durch meine Arbeit in der Oil- und Gasindustrie schon an so Einiges gewoehnt, aber da faellt selbst die Farbe aus dem Gesicht. Nun verhalten sich wirklich nicht alle so, aber leider immernoch viel zu viele. Dieser Absatz und das angesprochene Problem bezieht sich hauptsaechlich auf Alberta, andere Provinzen sind bei diesem Thema gluecklicherweise schon etwas weiter, sofern ich dies durch unsere Reisen beurteilen konnte. Vielleicht ist das Ganze der Tatsache geschuldet, dass in dieser Provinz mitunter ein Loewenanteil von der kanadischen Wirtschaft verdient wird, es bleibt dennoch zu hoffen, dass sich etwas aendert. Die neue Provinzialregierung hat was das angeht sicherlich einige gute Ansaetze die allerdings nicht sehr attraktiv verpackt sind und daher auf heftigen Gegenwind stossen.
Kanadische Schubkarre

Was waren die einschneidensten Veraenderung in Bezug auf den nord-amerikanischen Lifestyle?

Der Umgang mit Geld.
Hat mich mein Vater noch nach dem Motto erzogen: Wenn du etwas nicht mit deinem eigenen Geld bezahlen kannst, kaufst du es nicht (ausser bei einem Eigenheim), so ist diese Richtlinie wie eine Seifenblase bereits in der ersten Woche der Auswanderung zerplatzt. Als wir nach einer Telefonkarte fuer unser Mobiltelefon im oertlichen Elektroladen nachgefragt hatten, hakte der Verkauefer nach und fragte nach unserer Credit History. Diesen Begriff hatte ich bis dahin zum ersten mal gehoert und dachte es ist so eine Art Schufa-Auskunft und definiert wie gut oder schlecht man mit Geld umgeht. Ich sagte also stolz wie Nachbars Willie, dass unsere Credit History vermutlich ausgezeichnet ist, weil ich noch nie irgendwelche Schulden hatte und auch in Deutschland immer brav Rechnungen sofort bezahlt habe. Darauf entegnete der Kaeufer, dass wenn ich noch nie Schulden gemacht habe, ich ueberhaupt nicht beweisen kann, dass ich kreditwuerdig bin. Als ich noch darueber gelacht habe, weil ich dachte der verarscht mich hatte Kathi schon einen Gesichtsausdruck wie ein kleines Kind dem man das Eis aus der Hand geschlagen hat. Auch, dass ich $ 20.000 Cash in meinem Rucksack hatte (wir wollten danach auf die Bank ein Konto anlegen) hat den guten Mann herzlich wenig interessiert. Also mussten wir ein Safety Deposit bezahlen (einen Sicherheitsbetrag von $200 pro Person), damit die Telefoncompany eine Sicherheit hat, falls wir die Rechnung nicht bezahlen koennen. Dieses Deposit wurde erst nach 6 Monaten zurueckbezahlt, als wir nachweisen konnten, dass wir kreditwuerdig sind. Spaeter am Tag auf der Bank wurden wir dann darueber aufgeklaert, dass wir als neue Immigranten keine Kreditkarte bekommen (aus den bereits genannten Gruenden), was mich nicht stoerte, weil wir die ohnehin nicht wollten. Das einzige Problem daran: Ohne Kreditkarte baut man keine Credit History auf. Irgendwann fuehlt man sich dann wie Asterix und Obelix im Haus das Verrueckte macht, aber wenn man sich damit abgefunden hat geht es. Mittlerweile haben wir beide eine Kreditkarte, Kathi geht mit ihrer Karte einkaufen und ich nehme meine zum Tanken. So bauen wir Stueck fuer Stueck unsere History auf und beweisen quasi, dass wir mit Geld umgehen koennen indem wir nicht mit Geld umgehen koennen.

Biber am Werk
Die Entfernungen und unfassbare weite dieses Kontinents und vorallem Kanadas.
In Deutschland war ich bereits bei Kurzstrecken genervt und habe den Fahrersitz gerne an Kathi abgegeben, selbst wenn es nur mal schnell die Fahrt zum Supermarkt war. Heute fahre ich zu einer Freundin von uns zum Haare schneiden (100 km one way), nach der Arbeit mal kurz nach Edmonton (70 km one way), uebers Wochenede Fischen zum Cold Lake (400 km one way), Samstag morgens mal in die Berge zum Jagen (200 km one way) oder auch mal einen Wochenendroatrip ueber den Icefieldsparkway und zurueck (1500 km round trip). Das haengt wohl damit zusammen, dass die Autofahrer hier zum Grossteil entspannter sind als in Europa. Dazu kommt auch, dass die Umgebung facettenreicher ist und man nicht nur von Stadt zu Stadt faehrt. Die Wildtiere haben auch einen besonderen Reiz und wenn man ab und an mal einen Elch oder Baeren sieht freut man sich immernoch wie beim ersten Mal. Was auch immer der ausschlaggebende Grund dafuer ist, Auto macht mehr Spass in Kanada.

Auflistung von kanadischen Eigenarten

Freundlichkeit

Die Kanadier gelten als das freundlichste Volk der Welt. Dieser Ruf ist hart erarbeitet und kommt unter anderem vom exzessiven Nutzen der Worte “Excuse me” “Sorry” “My Apologies” und “Thank you”. Diese Worte koennen beliebig oft aneinandergereiht werden und finden inflationaer in diversen Entschuldigungsorgien Anwendung. Beispiel: “Oh, excuse me, I am so sorry for the inconvenience, my apologies”. Tritt man einem Kanadier versehentlich auf den Fuss, ist es fuer viele Kanadier zum Teil selbstverstaendlich sich zu entschuldigen, obgleich sie Schuld daran waren oder nicht. Es gibt gewisse Witze wo in Frage gestellt wird ob sich ein Kanadier auch entschuldigen wuerde, wenn er alleine im Wald unterwegs ist und hinfaellt. Ich habe zu dem Thema auch zwei konkrete Beispiele die diesen Fakt noch zusaetzlich unterstreichen. 2015 bin ich nachnmittags kurz zum Lebensmittelladen gelaufen als mir ein kleines Kind hinterhergerufen hat "Sir, could you please stop for a second, I would like to give you something" (Koennten Sie bitte kurz stehen bleiben, ich wuerde Ihnen gerne etwas geben). Der junge war ca. 6 Jahre alt und hat mir einen Briefumschlag gegeben auf dem auf Englisch stand "Oeffne diesen Umschlag und es wird deinen Tag bereichern". Ich habe mich bedankt und den Umschlag eingesteckt und bin erstmal weitergegangen um den geplanten Einkauf fortzusetzen. Zu Hause angekommen habe ich den Umschlag geoeffnet. Darin waren ein paar kuenstliche Blumenblueten und ein Zettel auf dem Stand "Du bist die coolste Person, hab einen schoenen Tag". Klar kann ich jetzt schon Leute vor sich hinbrabbeln hoeren "Ja, klar der Kleine hat das auch total ernst gemeint...natuerlich machen die das wenn sie es vom Lehrer gesagt bekommen..." aber es geht nicht darum ob der Junge das ernst meint oder ob er ueberhaupt realisiert, dass er damit jemandem eine Freude macht (das hat er naemlich damit getan), es geht viel mehr darum, dass die Kinder in der Schule schon dazu erzogen werden freundlich auf ihr Gegenueber zuzugehen. Es gibt auch sehr viele Leute die einem Freundlichkeit vorspielen und es eigentlich nicht sind, aber ich habe lieber eine Bedienung an der Kasse sitzen die mich fragt wie es mir geht als eine die mir ein "Sehen sie ned, dass mei Lamp aus is, seien se so gut un gehn zu de Kollegin, ich will a moi Paus mache" entgegenrotzt. Ich denke im Grossen und Ganzen geht es darum den Kindern von klein auf beizubringen, dass es nichts kostet zu jemandem freundlich zu sein und man meistens wiederkriegt was man jemandem entgegenbringt. Als ich zu Hause war und den Zettel gelesen habe, hatte ich wirklich ein schlechtes Gewissen, dass ich nur kurz "danke" gesagt habe und mir nicht die Zeit genommen habe den Umschlag im beisein des kleinen Mannes zu lesen, aber so wie ich die Kanadier kenne nimmt er mir es nicht uebel.
Der Brief des kleinen Jungen
Die zweite Situation entstand aus einem Verkaehrunfall heraus. Kathi und ich waren auf dem Weg nach Camrose und mussten an der Einfahrt eines Kreisels bremsen. Eine Dame hinter uns hatte es nichtmehr rechtzeitig geschafft und ist uns hinten rein gefahren. Unser Explorer hatte eigentlich nicht viel abbekommen im Gegensatz zu der Front ihres Kleinwagens der erst eine Woche alt war. Wir haben daraufhin die Adressen und Versicherungsinformationen ausgetauscht und uns darauf geeinigt, dass wir den Schaden schaetzen lassen und mit ihr in Kontakt treten werden, nebenbei hatten wir noch einen kurzen Plausch und sie hat uns gefragt wo wir herkommen und so kam man ins Gespraech und wir haben ihr einen kurzen Abriss unser bisherigen Zeit in Kanada gegeben und ihr gesagt, dass wir gerade unsere permanente Aufenthaltsgenehmigung bekommen haben. Der Schaden belief sich letztendlich auf $1000 und wir haben ihr den Betrag mitgeteilt, woraufhin sie uns mit der Post einen Scheck zukommen lassen hat mit einer Grusskarte in der stand

"Hallo Jochen und Katharina, mit diesem Brief erhaltet ihr den Scheck mit dem vollen Betrag fuer den Fender Bender (kanadischer Ausdruck fuer jemanden der einem anderen die Stossstange verbeult "Stossstangenverbieger"). Trotz des Unfalls hoffe ich dass fuer euch alles gut geht in Kanada. Ich glaube ihr habt euch einen guten Ort zum Leben ausgesucht (es ist nicht perfekt, aber wir lieben es!). Passt auf euch auf!"

Jeder kann darueber denken was er will, aber ich bin der Meinung, dass wenn sich jemand die Front seines Wagens zerknittert der gerade mal eine Woche alt ist, auf dem Weg zu einem Termin war und sich noch den halben Kaffee bei dem Unfall auf die Hose gekippt hat und obendrauf noch $1000 fuer den Spass bezahlt und dann noch eine entsprechende Karte beilegt, dann sagt das Einiges ueber die Wilkommenskultur einer Nation aus.
Grusskarte von der Dame die uns gerammt hatte

Potlucks und BYOB

Auf Partys bringt fast immer jeder Gast etwas zu essen mit, was einem als Gastgeber viel Arbeit erspart. BYOB ist eine Abkuerzung fuer “Bring your own beer” (Bring deine eigenes Bier mit). Diese ungeschrieben Regel hat einen rechtlichen Hintergrund. Habe ich Gaeste zu Hause und einer schlaegt ueber die Straenge und meint Auto fahren zu muessen, dann bin ich automatisch fuer das Fehlverhalten dieser Person mitverantwortlich, wenn ich Alkohol an die Person ausgeschenkt habe. Bittet man seine Gaeste ihre Getraenke selbst mitzubringen, entgeht man dieser Gefahr. Durch diese rechtliche Lage kommt es auch nicht zu den altbekannten “Komm trink noch einen mit”-Situationen, wenn man noch fahren muss.

Begruessung

In Kanada ist das Kuesschen links, Kuesschen rechts nicht ueblich. Maenner schuetteln sich gegenseitig die Haende, Frauen nicht. Sollte eine Frau das Beduerfnis haben die Hand geschuettelt zu bekommen, so streckt sie die Hand zuerst aus. Es ist nicht unfreundlich einer Frau nicht die Hand zu schuetteln, das ist uebrigens in den meisten anglophonen Laendern der Fall. Wie sich das mit der Genderdebatte vereinbaren laesst und ob man bald garnicht mehr Haende schuettelt, weil man nicht das Geschlecht oder gar die Species von jemandem vermuten darf/soll, weiss ich nicht, aber ich bleibe dran und halte euch auf dem Laufenden.


Bitte Schuhe ausziehen

Wer hier eine Wohnung oder ein Haus betritt zieht die Schuhe aus, ohne wenn und aber. Ich habe hier noch niemanden erlebt der irgendwo zu Besuch ist und die Schuhe anlaesst. Ich vermute jeder Kanadier wuerde nicht begeistert sein, wenn man den Dreck von draussen ins Haus schleppen wuerde, so ziehen wir eigentlich ueberall die Schlappen aus, ausser bei Katherine (die Freundin die Haare schneidet), aber bei der laeuft auch schonmal der Esel durchs Wohnzimmer, die sieht das nicht so eng.

Ueberfahrenes Stinktier. Das kann einem den Tag unter Umstaenden ordentlich versauen, wenn man es nicht fruehzeitig erkennt. Das Bild wurde unter staendigem Wuergen aufgenommen (daher auch nicht 100% scharf), ich hoffe, dass man es zu schaetzen weiss.

Gemeinsames Essen

Im Restaurant und daheim gelten ein paar Richtlinien an die man sich halten sollte. Unter anderem, dass sich hier niemand am Tisch die Nase putze und dass man NIEMALS doppelt dippt. Fuer diejenigen die nicht wissen was doppel dippen ist, hier die Erklaerung: Zum Hauptgang wird von dem jenigen der an dem Abend bezahlt (abwechseln ist hier durchaus ueblich) ein "Starter" bestellt. Das ist eine Art Vorspeise von der jeder isst. Oftmals besteht der Starter aus Chips, Nachos, Fried Onions oder Cactus Fries mit einem Dip (Sosse zum eintunken). Wenn man sich jetzt einen Chip nimmt und in dem Dip dippt, abbeisst und anschliessend wieder den gleichen Chip in den Dip dippt hat das etwa den gleichen Effekt wie wenn ich in Deutschland in der Nase popel un dann in die Schuessel Erdnuesse greife...die Begeisterung haelt sich stark in Grenzen. Eventuell ist das auch in einigen deutschen Bundeslaendern so, ich kannte das aus der Pfalz jedenfalls nicht, aber da trinken auf dem Weinfest ja auch 12 Leute aus dem gleichen Glas, von daher ist meine Heimat moeglicherweise nicht repreasentativ fuer dieses Thema. Nord Amerikaner sind verhaeltnissmaessig bakteriophob, sofern ich das beurteilen kann (und das kommt von jemandem wie mir, der schonmal ein paar extra Minuten auf einer oeffentlichen Toilette verbringt und wartet bis eine andere Person den Raum betritt oder verlaesst, damit ich nicht selbt die Tuerklinke anfassen muss). Nach dem Essen werden hier sehr schnell die Teller weggeraeumt. Das hat nichts damit zu tun, dass die Bedienung unfreundlich ist, sondern wird als aufmerksam gewertet, da die Kanadier nicht gerne mit schmutzigem Geschirr am Tisch sitzen.
Eichhoernchenspiess ueber dem Feuer gebraten
Das sind jetzt so die Dinge die mir zu den Themen eingefallen sind. Ich hoffe, dass ich euch die kanadische Kultur etwas naeher bringen konnte (so gut es mit einem Text geht). Kathi wird demnaechst in einem weiteren Blogeintrag noch ein paar Dinge aus ihrer Sicht beitragen und sicherlich das ein oder andere Thema ergaenzen oder ein paar neue Punkte anscheiden. Bis dahin, macht es gut.

Take care!

Joe

Kommentare